Ausgerechnet den Sozialdemokraten fehlen bekannte Frauenfiguren, wenn es darum geht, die Spitzenrollen im Staat zu bekleiden, beobachtet Frank Capellan. Mit der Nominierung von Schäubles Nachfolger entging die SPD nur knapp einer Demütigung. Frauen sind eine Herausforderung für die SPD. In ihrem Wahlprogramm verspricht sie ein Jahrzehnt der Gleichberechtigung, doch es sind die Sozialdemokraten, denen es an bekannten und stark vertretenen Frauenfiguren mangelt. Wenn es darum geht, die Spitzenplätze im Staat zu besetzen, gibt es einen Mangel an Frauen, die fast einschüchternd wirken.
Das war zuvor bei der Suche nach einem neuen Parteivorsitzenden und damit einem möglichen Kanzlerkandidaten aufgedeckt worden. Nicht nur Malu Dreyer oder Manuela Schwesig hätten auf viele Frauen an der SPD-Spitze gehofft. Als beide Ministerpräsidenten auf den Thron berufen wurden, mussten sie krankheitsbedingt absagen.
Einfach eine Peinlichkeit überwinden
Mit der Nominierung des Schäuble-Nachfolgers vermieden die Genossen gerade eine Verlegenheit. Olaf Scholz wird Bundeskanzler, Frank-Walter Steinmeier will Bundespräsident bleiben – Rolf Mützenich zum Bundestagspräsidenten zu machen, wäre viel zu schön gewesen. Ohne Gewissheit hätte der SPD-Fraktionschef das nötige Ansehen für das Amt des Bundestagspräsidenten besessen. Seine gesetzgeberische Expertise ist unbestreitbar, ebenso wie seine Fähigkeit, zu moderieren, zu vermitteln und zu führen, wie es der Präsident des Repräsentantenhauses zu tun hat.
Aydan Zuguz hätte etwas mehr Gravitas hinzufügen können.
Dass sie die großen Fußstapfen von Wolfgang Schäuble ausfüllen kann, muss die Duisburger Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas noch beweisen. Es ist auch der allgemeinen Bevölkerung unbekannt. Der frühere Integrationskommissar der Bundesregierung, Aydan Zuguz, ein Sozialdemokrat, hat vielleicht etwas mehr Wissen und Statur eingebracht.
Sie wurde 1967 in Hamburg geboren, sechs Jahre nachdem ihre Eltern als “Gastarbeiter” in Deutschland angekommen waren. Eine Frau aus einer Migrantenfamilie zur “Chefin” des Bundestages zu machen, könnte ein starkes Statement gewesen sein. Die Grünen wollen eine Frau als Bundespräsidentin, Zuguz wird nun Bundestagsvizepräsidentin der SPD. Dass die Partei zwei weibliche Kandidaten aufstellt, könnte Frank-Walter Steinmeier zu einer zweiten Amtszeit als Bundespräsident verhelfen, eine Wiederwahl ist jedoch keineswegs garantiert.
Bärbel Bas Eltern
Die Grünen werden weiterhin darauf drängen, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Frau nach Bellevue geschickt wird. Jetzt hängt alles davon ab, wie die neue Verwaltung aufgebaut ist. Olaf Scholz, der Wahlsieger, steht kurz davor, auch die Hälfte seines Kabinetts mit Frauen zu besetzen. Mit der heutigen Entscheidung ist alles andere als offensichtlich, dass die Sozialdemokraten mit der Nominierung von Bärbel Bas ihr Frauenthema aufgegriffen haben. Wir werden nicht mehr lange Kanzlerin sein, auch deshalb wurde eine Frau zur Bundestagspräsidentin gewählt. Wer ist Bärbel Bas (SPD), die nur wenige Menschen außerhalb des Parlaments kennen?
Wenn Sie “Bundestagspräsidentinnen” googeln, gehen Sie leer aus. Die Aufgabe von: Neben Annemarie Renger (SPD) in den 1970er Jahren und Rita Süßmuth (CDU/CSU) in den 1980er und 1990er Jahren war der Bundestagspräsident immer ein Mann. Bärbel Bas ist nun die Nachfolge von Wolfgang Schäuble als Bundestagspräsidentin angetreten und ergänzt damit die kleine Zahl weiblicher Bundestagsvorsitzender. Die Frauenschwierigkeiten der SPD sind auch der Grund, warum Bärbel Bas den zweithöchsten Staatsposten in der Bundesrepublik besetzt. Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte sich während des gesamten Wahlkampfes als Feministin dargestellt, und das Wahlprogramm der Sozialdemokraten: innerhalb des “Jahrzehnts der Gleichberechtigung” gesprengt.
Für mindestens einen der fünf höchsten Sitze des Bundesstaates musste deshalb eine Frau gefunden werden. Ein männlicher Bundestagspräsident hätte einen Mann in jeder Position bedeutet: Bundespräsident, Bundestagspräsident, Bundeskanzler, Bundesratspräsident und Präsident des Bundesverfassungsgerichts, so das sich bildende Ampelbündnis. Das wäre ein Schlag ins Gesicht aller Frauen und völlig überholt gewesen. Es gibt jedoch noch weitere Gründe für die Wahl des altgedienten SPD-Mitglieds zum Bundestagspräsidenten.